Kinderfreundliche Stadtplanung

Teil I: Element Wasser

Für Kinder in der Stadt gelten die gleichen Voraussetzungen wie für Kinder auf dem Lande. Die Kindheit ist die Zeit, in der man seine Welt erkunden, probieren und ändern kann. Dabei erfährt man als Kind ein Stück von sich selbst, ein Stück von der Gesellschaft und ein Stück vom Leben.

Kinder lernen innerhalb eines Stadtgefüges spielerisch soziales Handeln, Respekt gegenüber anderen Menschen und deren Wünsche kennen. Wenn die Stadträume auch für Kinder geschaffen sind, können sie sich dort durch zwischenmenschliche Beziehungen das notwendige Werkzeug aneignen, um sich als vollwertige Bürger zu entwickeln.

Bei kinderfreundlichen stadtplanerischen Projekten, an denen Kinder beteiligt waren, konnte man in den letzten vier Jahren erkennen, dass sich Kinder zwischen sieben und dreizehn Jahren auf Kinderspielplätzen zunehmend langweilen. Die Rutsche, der Sandkasten und die alte Wippe sind Spielgeräte aus dem letzten Jahrhundert. Diese Spielgeräte locken keine Kinder, die z.B. die Geschwindigkeit, den Nervenkitzel und die Abwechselung auf Volksfesten erlebt haben. Andere Spielelemente sind erwünscht. Ein wichtiges Element davon ist Wasser.

„Wasser! Wasser, du hast weder Geschmack noch Farbe, noch Aroma. Man kann dich nicht beschreiben. Man schmeckt dich, ohne dich zu kennen. Es ist nicht so, dass man dich zum Leben braucht: du selber bist das Leben! Du durchdringst uns als Labsal, dessen Köstlichkeit keiner unserer Sinne auszudrücken fähig ist. Durch dich kehren uns alle Kräfte zurück, die wir schon verloren gaben“, schrieb Antoine de Saint-Exupéry 1939 in seinem Buch „Terre des Hommes“ („Wind, Sand und Sterne“). „Wasser schenkt uns ein unbeschreiblich einfaches und großes Glück.“

Schmutzwasserkanäle in der Stadt, erfrischende Wasserspiele in Gärten, lebensnotwendige Waschbrunnen am Marktplatz und Wasserspiele als Temperaturregler und Luftreiniger sind einige geschichtliche und vielfältige Einsatzmöglichkeiten von Wasser. Eines der berühmtesten Beispiele von Wasserkunst in Gärten ist vermutlich der Garten der Villa d’Este in Italien. Neben Fischteichen, Eulen- und Drachenbrunnen, Wasserkanälen und Wasserfällen in den Handläufern der Treppen ist der Neptunbrunnen ein geeignetes Beispiel, wie man Wasser gezielt einsetzt, um Betrachter spielerisch zu unterhalten. Der Neptunbrunnen ist ein beeindruckender Wasserfall, dessen Geräuschkulisse die Aufgabe hatte, den Lärm aus der Stadt Tivoli zu übertönen und den Besucher im Garten von den Stadtgeräuschen zu isolieren. Dieses stattliche Wasserspiel wurde 1927 mit vertikalen Wasserventilen kombiniert, die unter Hochdruck standen. Hinzu kam eine musikalische Wasserorgel, die durch den Druck auf Klangbrettern zwei Trompetentöne produzierte.

Ob Kinder bei der Planung der Wasserspiele im Garten der Villa d’Este gefragt worden sind, ist nicht überliefert. Der Garten aber ist überfüllt von Wasserspielen und hinterlistigen Wassertricks. Der Spaß an Wassertricks war damals wie heute nicht altersabhängig. Der „kniffligste Wassertrick“ in der modernen Stadtplanung besteht darin, als Stadtplaner den Genuss von Wasser und Wasserspielen in den Städten zu ermöglichen. Ein Blick durch die deutschen Städte zeigt, dass Stadtplaner, die mit Kindern, Künstlern und Landschaftsarchitekten Wasser in der Stadt als wichtiges Thema aufgreifen, dabei sind, ihre Auffassung von menschen- und besonders kinderfreundlicher Stadtplanung auf die Städte zu übertragen.

Sprudelnd, gurgelnd, rauschend übertönen die Wasserkaskaden den Berliner Stadtverkehr und funkelnde Wassergüsse bahnen sich ihren Weg nach unten in die Stadt. Zwischen den Steinen segeln Papierschiffe, und eine neue Flotte wird gerade von aufgeregten Kindern zu Wasser gelassen. Hinter den Kindern, auf dem höchsten natürlichen Berg Berlins, steht ein Kreuz, das gleichzeitig der Namensgeber des Viertels ist. Der Victoriapark in Kreuzberg ist eines der ältesten Beispiele für kinderfreundliche Spieloasen in der Stadt. Gleichzeitig ist es das beste Beispiel dafür, dass kinderfreundliche Stadtplanung eine Symbiose von drei Grundelementen ist. Diese drei werden oft die drei „B´s“ genannt, denn es handelt sich um Brunnen, Bänke und Bäume.

Sowohl Kinder in Naumburg als auch in Karlsruhe lieben die erfrischende Seite des Wassers in ihren Städten. Bei gemeinsamen Streifzügen durch Naumburg ist der alte Steinbrunnen auf dem Kirchenplatz das beliebteste Ziel. Da der Beckenrand sehr breit ist, recken sich die Entdecker, bis sie die Wasseroberfläche berühren, um damit spielen zu können. Hier erkennt man, wie immens wichtig es ist, dass Brunnen und Wasserplätze bespielbar werden, indem Entfernungen zwischen dem Wasser und dem Nutzer möglichst gering gehalten werden. So kann auch der kleinste Bürger seine Hände in das kühlende Nass tauchen. Ab einem Alter von ungefähr elf Jahren können Kinder leichter Entfernungen überbrücken, und hüpfen wie in Karlsruhe am Lidellplatz auf den Brunnenrand, um an einen Schluck erfrischendes Wasser zu gelangen. Von der Schule nach Hause werden die Brunnenbesuche als Abstecher auf dem Nachhauseweg von den Kindern eingefügt. Die Erlebnisse in der Schule werden an den Brunnen besprochen, die Schulprobleme fließen ab und das Plätschern beruhigt die aufgewühlten Gefühle.

Die neue Wasserspieloase in Neuwied ist vor rund einem Monat eröffnet worden. Am Rande des Neuwieder Stadtteils Feldkirchen ist am Standort des alten Schwimmbads ein Wasserpark für Kinder entstanden. Hier stellt man fest, dass sich Kinder im Zeitalter von Computer- und Videospielen stundenlang im Wasserspiel vertiefen können und wollen.. Die Erwachsenen, die freien Eintritt haben, staunen mit den Kindern, welche Vielzahl von Möglichkeiten es gibt. Sowohl die Fließgeschwindigkeit, die Fließrichtung als auch der Standort und die Menge des Wassers lassen sich beeinflussen. Experimentierfreudig bauen die Kinder Staudämme, erfrischen sich unter spritzenden Düsen und pumpen Wasser in mosaikverzierte Wasserrinnen und Becken.

Der Ursprung der Wasserspiele in Gummersbach beginnt vor der Kirche und unterstreicht damit den christlichen Glauben, dass Wasser und damit auch Leben von Gott kommt. Das Wasser fließt dann über behauene, glatte Steinrinnen quer über den Kirchplatz und verbreitert sich auf den offenen Platz, um dann vor der Sparkasse seinen Abschluss zu finden. Durch verschiebbare Metallelemente im Wasserbett können die Form, die Lichtreflektionen und die Fließrichtung beeinflusst werden. Kleine Brücken schaffen Übergänge und schmale Mauern verwandeln sich in Sitzelemente. Parallel zum Wasserbett sind Sitzmöglichkeiten mit Grünbereichen abwechselnd über unterschiedliche Höhenniveaus verteilt.

Die Stadtplaner in Essen sind neue Wege gegangen und haben vor der Kirche zwischen zwei alten Brunnen eine Wasseroase für Kinder mit Sand, Spielgeräten und Brücken entworfen. Während die Jugendlichen sich an den alten Brunnen auf dem Kennedyplatz aufhalten, tummeln sich die Kleinkinder und Kinder auf dem Kardinal-Hengsbach-Platz. Die neue Wasseroase dort ist seicht ,langsam fließend und bietet die Möglichkeit, in knöchelhohem Wasser zu stehen. Daneben lockt der lang ausgedehnte weiße Sandabschnitt mit Klettermöglichkeiten. Die alten Brunnen locken die Jugendlichen mit ihren regulierbaren Wasserdüsen, der Gischtentstehung und dem kraftvoll entströmenden Wasser. So sind die Wasserplätze für unterschiedlichste Alterstufen bespielbar und die Jugendlichen unter sich. Unter den großen Bäumen an dem Brunnen bei der Kirche versammeln sich die älteren Menschen und vertiefen sich in Gespräche, während sie das Treiben beobachten.

Wasserspiele für behinderte Kinder sind rar und die Freude von Kindern ist doppelt groß, wenn sie entdecken, dass Stadtplaner auch an sie gedacht haben. Hinter dem Mövenpick Hotel am Bahnhof in Essen ist ein Wasserspiel für Kinder in Rollstühlen. Im Boden sind Metallknöpfe versenkt, womit die Kinder beim wiederholten Drücken emporschießende Wasserstrahlen auslösen können. Es ist leichter, die Wasserstrahlen mit den Füßen zu aktivieren, aber mit den Rädern von Kinderrollstühlen ist dies auch möglich.. Animiert von dem ausgelösten Wasserstrahl und der begleitenden Erfrischung verbringen behinderte Kinder an heißen Tagen gemeinsam mit nicht behinderten Kindern gerne ihre Zeit am Wasserspiel.

Kindgerechte Planung bedeutet die Planung eines Stadtteils mit vielfältigen Aufenthaltsqualitäten für alle Generationen. Eine Stadt für Kinder ist gleichzeitig eine Stadt für alle Menschen. Kinderfreundlichkeit in der Stadtplanung heißt, durch gezielte Eingriffe ein bestehendes städtisches Gefüge so zu verändern, dass die Stadt für Kinder reizvoller, im Alltag sicherer und lebendiger wird, und dass bei der Umweltgestaltung auf kindergerechte Rahmenbedingungen geachtet wird. Also ist Kinderfreundlichkeit in der Stadtplanung jeder Prozess, jedes Konzept oder jede Planung, die dazu beiträgt, dass Kinder ihre Städte gefahrlos und abwechselungsreich alleine, im Familien- oder Freundeskreis erleben und erobern können. Dabei wird ihre eigenständige Mobilität, Selbständigkeit, Orientierung und Kreativität unterstützt und gefordert. Später als Erwachsene können die Kinder diese Erfahrungen und Charaktereigenschaften nutzen, um ihren Beitrag zur Gesellschaft beizusteuern.

Kinderfreundlichkeit beschränkt sich nicht nur auf Kindergeld, mehr Kindergartenplätze oder neue Gesetze zum Kinderschutz Vielmehr spiegelt sie sich in der alltäglichen Erlebniswelt für Kinder in der Stadt. Die Brunnen und Wasserspiele ermöglichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen spannende und ruhige Stunden. Etliche Stadtplaner und Investoren haben die Vorzüge von Wasser in der Stadt erkannt. Die angrenzenden Geschäfte, Restaurants und Eiscafés profitieren von dem erhöhten Reiz bespielbarer Brunnen für Kinder. Eltern können die Zeit genießen, in der die Kinder sich gut und sicher beschäftigen können Sie halten sich gerne dort auf und kehren immer wieder zu diesem Ort zurück.

Dipl.-Ing. Ruth Esther Gilmore

Teil II: Element Bäume

Teil III: Element Kinderbeteiligung

Teil IV: Element Mobilität